Es
ist 7.30 Uhr morgens, als das Läuten der Glocke den Beginn eines neuen
Schultages markiert. Die Klasse 201 der Zhong Lun High School in Taipei ist von
einer schläfrigen Stille erfüllt. 25 Schüler sitzen auf ihren Plätzen tief über
das Arbeitsblatt mit den Aufgaben des wöchentlichen Englisch-Tests gebeugt.
You-Po steht am Lehrerpult und bedient das Radio aus dem bald eine Reihe
englischer Sätze erklingen, die das Hörverständnis testen sollen. Als
Klassensprecher ist es seine Aufgabe, in der ersten halben Stunde vor Beginn
des Unterrichts die Anwesenheit seiner Mitschüler zu kontrollieren und die
wöchentlichen Tests in Englisch, Mathematik und Chinesisch auszuteilen. Ein
Lehrer ist während dieser Zeit nirgendwo zu sehen, nur ein Soldat patrouilliert
in den Gängen.
Während die meisten meiner Mitschüler eifrig Lückentexte mit Vokabeln
ausfüllen, hat Julian (der es bevorzugt mit seinem englischen Namen
angesprochen zu werden) seinen Kopf auf die Hände gebettet und schläft. Das ist
kein ungewöhnlicher Anblick in einer taiwanesischen Klasse, auch außerhalb der
dafür vorgesehenen „Nap-Time“ während der Mittagspause und wenn man bedenkt,
dass an einem gewöhnlichen Schultag noch mehrere Tests in anderen Fächern die
Schüler erwarten, ist es durchaus sinnvoll, die Zeit vor Unterrichtsbeginn,
dazu zu nutzen, etwas Schlaf nachzuholen.
Um 8.00 betritt schließlich die Klassenvorständin und Chinesisch-Lehrerin Peng-Chen den Raum, unter den Schülern ist sie nur als „Doris“ bekannt. Sie tritt ans Pult und mit Hilfe eines Mikrofons beginnt sie zu unterrichten auf eine Art, die mehr einer Universitätsvorlesung gleicht. Nicht selten kommt es vor, dass sich während einer Stunde keine einzige Hand hebt, keine einzige Frage an die Schüler gerichtet wird. Die meisten Lehrer kennen die Namen ihrer Schützlinge eher von den Testblättern, als tatsächlichen Wortmeldungen im Unterricht. Von gelegentlichen Diskussionen und Gruppenarbeiten besonders in der Englischstunde abgesehen, handelt es sich hier um Frontalunterricht in seiner Reinform.
Nach vier Stunden, unterbrochen von zehnminütigen Pausen ist es Zeit für die Mittagspause. Es dauert nur wenige Minuten, dann haben die Schüler ihre metallenen Jausenboxen aus dem kleinen Ofen, mit dem jeder Klassenraum ausgestattet ist, geholt und der Geruch von frittiertem Reis, Instantnudeln, gedämpften Kohl und Dumplings mit Sojasoße erfüllt die Luft.
Zwar ist es verboten, in der Mittagpause, die Schule zu verlassen, aber das hindert die Schüler nicht daran, das taiwanesische Nationalgetränk, Bubble-Milchtee zu bestellen, meistens gleich klassenweise und so machen sich wie fast jeden Tag Tian-You und Yun-Shan auf, beim Eingang, der von einigen meist etwas griesgrämig dreinblickenden Soldaten bewacht wird, die Bestellung entgegen zu nehmen und dann mit etwa 20 Becher des süßen Getränks wieder in den 5 Stock hinaufzusteigen.
Manchmal wird Bubble-Tee aber nicht nur getrunken, sondern hat auch eine andere Funktion, wie ich herausfinden darf, als eines Tages während der Mittagspause plötzlich laute Schreie vom Balkon meiner Klasse zu hören sind. Die Ursache des Lärms ist Ke-Rong; sie ist mit Klebeband an einen Stuhl gefesselt, während der Rest meiner Mitschüler um sie herum steht. „Zou kai! Haut ab!“, schreit sie und lacht, als sich Pei-An mit einem großen Becher Bubble-Tee, der etwa einen halben Liter fasst und einem noch größeren Grinsen auf den Lippen ihr nähert. „Sheng ri kuai le!“, sagt sie, „Alles Gute zum Geburtstag“, als sie ihr den gesamten Inhalt des Bechers über den Kopf gießt. Ke-Rongs Quietschen wird noch lauter, als die klebrige Flüssigkeit in ihre Haare läuft und ihre Schuluniform vollständig durchnässt. Unzählige braune Geleekugeln springen über den Boden und es dauert nicht lange, dann hat sie sich von ihren Klebebandfesseln befreit und macht sich daran, die Kugeln aufzusammeln, um Rache an ihren Freunden zu nehmen und sie damit zu bewerfen.
Als nur kurze Zeit später das Licht gedimmt wird und alle Schüler auf ihre Plätze zurückkehren, um in der nächsten halben Stunde dort zu schlafen oder sich leise zu beschäftigen, geht Ke-Rong zum Schwimmbad der Schule, um dort eine schnelle Dusche zu nehmen und ihre Uniform zu wechseln. Ein völlig normales, taiwanesische Geburtstagsritual.
Zwischen siebter und achter Stunde ist „Cleaning time“. Da es in der Schule keine professionellen Reinigungskräfte gibt, hat jeder Schüler eine Aufgabe, die er oder sie in diesen zwanzig Minuten ausführen muss. Diese reichen dabei von Fenster putze über Boden aufwaschen zu Müll rausbringen und auch die Toiletten müssen gereinigt werden. Dass die meisten Schüler sich naturgemäß eher halbherzig an die Arbeit machen, könnte erklären, warum die Schulgebäude hier im Allgemeinen weniger sauber sind, als in Österreich.
Um 4.10 endet schließlich der Unterricht, doch für die meisten Schüler ist der Tag noch lange nicht zu Ende. Viele bleiben länger in der Schule, um sich den verschieden Club-Aktivitäten zu widmen (von Tanzen bis Basketball, über Kochen zur Schülerzeitung ist für jeden etwas dabei) oder sie besuchen eine sogenannte Crem-School, dabei handelt es sich um zusätzliche Unterricht in verschiedenen Fächern, eine Art der Nachhilfe, nur dass sich in einer Klasse oft zwei bis dreihundert Schüler befinden, während der Lehrer auf einem kleine Podium steht und den Stoff noch einmal wiederholt. Diese Schulen erfreuen sich großer Beliebtheit und sie werden sowohl am Wochenende, als auch in den Ferien besucht.
Manchmal kommt es auch vor, dass Schüler nach Ende des Unterrichts länger bleiben, um sich auf verschiedene Wettkämpfe vorzubereiten. Als meine Schule Anfang des Jahres einen Englisch-Theater Wettbewerb für alle 2 Klassen organisiert hat, sind wir oft bis 9 Uhr in der Schule geblieben, um Kulissen aus Pappe zu basteln, Kostüme zu entwerfen und den Text zu einzuüben.
Obwohl das taiwanesische Schulsystem oft kritisiert wird und diese Kritik auch meistens berechtig, da Schüler tatsächlich unter einem hohen Leistungsdruck leiden und oft zu müde sind, um dem Unterricht zu folgen, war es besonders dieses Gefühl der Gemeinschaft, als jeder einzelne meiner Mitschüler trotz Hausaufgaben und Crem-School bei den Vorbereitungen auf den Theater-Wettbewerb mitgeholfen hat und die taiwanesische Überzeugung, dass es am wichtigsten ist, immer sein Bestes zu geben, die mich am meisten beeindruckt haben.
Eine häufig verwendete Phrase hier ist „Jia you!“, was sich am besten mit „Gib Gas!“ übersetzten lässt und eine Art kämpferische Aufforderung ist, sich noch ein bisschen mehr anzustrengen.
Als es beim Theater-Wettbewerb dann doch nur für einen dritten Platz gereicht hat, konnte die anfängliche Enttäuschung schnell überwunden werden. „Zumindest haben wir hart gearbeitet“, meint Pei-An tröstend, „Das ist das wichtigste.“
Um 8.00 betritt schließlich die Klassenvorständin und Chinesisch-Lehrerin Peng-Chen den Raum, unter den Schülern ist sie nur als „Doris“ bekannt. Sie tritt ans Pult und mit Hilfe eines Mikrofons beginnt sie zu unterrichten auf eine Art, die mehr einer Universitätsvorlesung gleicht. Nicht selten kommt es vor, dass sich während einer Stunde keine einzige Hand hebt, keine einzige Frage an die Schüler gerichtet wird. Die meisten Lehrer kennen die Namen ihrer Schützlinge eher von den Testblättern, als tatsächlichen Wortmeldungen im Unterricht. Von gelegentlichen Diskussionen und Gruppenarbeiten besonders in der Englischstunde abgesehen, handelt es sich hier um Frontalunterricht in seiner Reinform.
Nach vier Stunden, unterbrochen von zehnminütigen Pausen ist es Zeit für die Mittagspause. Es dauert nur wenige Minuten, dann haben die Schüler ihre metallenen Jausenboxen aus dem kleinen Ofen, mit dem jeder Klassenraum ausgestattet ist, geholt und der Geruch von frittiertem Reis, Instantnudeln, gedämpften Kohl und Dumplings mit Sojasoße erfüllt die Luft.
Zwar ist es verboten, in der Mittagpause, die Schule zu verlassen, aber das hindert die Schüler nicht daran, das taiwanesische Nationalgetränk, Bubble-Milchtee zu bestellen, meistens gleich klassenweise und so machen sich wie fast jeden Tag Tian-You und Yun-Shan auf, beim Eingang, der von einigen meist etwas griesgrämig dreinblickenden Soldaten bewacht wird, die Bestellung entgegen zu nehmen und dann mit etwa 20 Becher des süßen Getränks wieder in den 5 Stock hinaufzusteigen.
Manchmal wird Bubble-Tee aber nicht nur getrunken, sondern hat auch eine andere Funktion, wie ich herausfinden darf, als eines Tages während der Mittagspause plötzlich laute Schreie vom Balkon meiner Klasse zu hören sind. Die Ursache des Lärms ist Ke-Rong; sie ist mit Klebeband an einen Stuhl gefesselt, während der Rest meiner Mitschüler um sie herum steht. „Zou kai! Haut ab!“, schreit sie und lacht, als sich Pei-An mit einem großen Becher Bubble-Tee, der etwa einen halben Liter fasst und einem noch größeren Grinsen auf den Lippen ihr nähert. „Sheng ri kuai le!“, sagt sie, „Alles Gute zum Geburtstag“, als sie ihr den gesamten Inhalt des Bechers über den Kopf gießt. Ke-Rongs Quietschen wird noch lauter, als die klebrige Flüssigkeit in ihre Haare läuft und ihre Schuluniform vollständig durchnässt. Unzählige braune Geleekugeln springen über den Boden und es dauert nicht lange, dann hat sie sich von ihren Klebebandfesseln befreit und macht sich daran, die Kugeln aufzusammeln, um Rache an ihren Freunden zu nehmen und sie damit zu bewerfen.
Als nur kurze Zeit später das Licht gedimmt wird und alle Schüler auf ihre Plätze zurückkehren, um in der nächsten halben Stunde dort zu schlafen oder sich leise zu beschäftigen, geht Ke-Rong zum Schwimmbad der Schule, um dort eine schnelle Dusche zu nehmen und ihre Uniform zu wechseln. Ein völlig normales, taiwanesische Geburtstagsritual.
Zwischen siebter und achter Stunde ist „Cleaning time“. Da es in der Schule keine professionellen Reinigungskräfte gibt, hat jeder Schüler eine Aufgabe, die er oder sie in diesen zwanzig Minuten ausführen muss. Diese reichen dabei von Fenster putze über Boden aufwaschen zu Müll rausbringen und auch die Toiletten müssen gereinigt werden. Dass die meisten Schüler sich naturgemäß eher halbherzig an die Arbeit machen, könnte erklären, warum die Schulgebäude hier im Allgemeinen weniger sauber sind, als in Österreich.
Um 4.10 endet schließlich der Unterricht, doch für die meisten Schüler ist der Tag noch lange nicht zu Ende. Viele bleiben länger in der Schule, um sich den verschieden Club-Aktivitäten zu widmen (von Tanzen bis Basketball, über Kochen zur Schülerzeitung ist für jeden etwas dabei) oder sie besuchen eine sogenannte Crem-School, dabei handelt es sich um zusätzliche Unterricht in verschiedenen Fächern, eine Art der Nachhilfe, nur dass sich in einer Klasse oft zwei bis dreihundert Schüler befinden, während der Lehrer auf einem kleine Podium steht und den Stoff noch einmal wiederholt. Diese Schulen erfreuen sich großer Beliebtheit und sie werden sowohl am Wochenende, als auch in den Ferien besucht.
Manchmal kommt es auch vor, dass Schüler nach Ende des Unterrichts länger bleiben, um sich auf verschiedene Wettkämpfe vorzubereiten. Als meine Schule Anfang des Jahres einen Englisch-Theater Wettbewerb für alle 2 Klassen organisiert hat, sind wir oft bis 9 Uhr in der Schule geblieben, um Kulissen aus Pappe zu basteln, Kostüme zu entwerfen und den Text zu einzuüben.
Obwohl das taiwanesische Schulsystem oft kritisiert wird und diese Kritik auch meistens berechtig, da Schüler tatsächlich unter einem hohen Leistungsdruck leiden und oft zu müde sind, um dem Unterricht zu folgen, war es besonders dieses Gefühl der Gemeinschaft, als jeder einzelne meiner Mitschüler trotz Hausaufgaben und Crem-School bei den Vorbereitungen auf den Theater-Wettbewerb mitgeholfen hat und die taiwanesische Überzeugung, dass es am wichtigsten ist, immer sein Bestes zu geben, die mich am meisten beeindruckt haben.
Eine häufig verwendete Phrase hier ist „Jia you!“, was sich am besten mit „Gib Gas!“ übersetzten lässt und eine Art kämpferische Aufforderung ist, sich noch ein bisschen mehr anzustrengen.
Als es beim Theater-Wettbewerb dann doch nur für einen dritten Platz gereicht hat, konnte die anfängliche Enttäuschung schnell überwunden werden. „Zumindest haben wir hart gearbeitet“, meint Pei-An tröstend, „Das ist das wichtigste.“